Sabine Keller ist passionierte Wanderreiterin und Mitglied der Weitreitergilde. Im ersten Teil dieses Beitrags erzählt sie, was sie bewegt hat, sich an die ganz großen Touren zu wagen.

Unsere Welt hat sich verändert und das fällt ReiterInnen besonders auf, wenn sie  - wie Sabine Keller - europaweit mit wachen Augen unterwegs sind. Doch was sind das für Veränderungen und was bedeuten sie schon im Kleinen? Sabine Keller nimmt die Leserschaft mit und lässt alle an ihren Erfahrungen und Beobachtungen teilhaben.

Wer ist Sabine Keller und wie kam sie zur Weitreitergilde?

Sabine Keller über ihren Weg zum Wanderreiten: Meine Pferdeliebe existiert schon, seitdem ich mit 14 Jahren angefangen habe zu reiten und mit 20 Jahren mein erstes eigenes Pferd gekauft habe: Ein wilden schwarzen andalusischen Hengst, mit dem ich sehr viele Aus- und Wanderritte absolviert habe. Direkt nach dem Kauf meines ersten Pferdes folgten Wochenendritte und später viele viele kleine Ritte von 1-2 Wochen. In dieser Zeit war das Wanderreiten noch nicht so weit verbreitet und ich habe im Laufe der Zeit viele Bekannte mitgenommen, um es ihnen beizubringen.

Die großen Touren von Sabine Keller

Von 1985 – 2012 folgten viele kleine Wanderritte von 1-2 Wochen mit meinen Pferden, und zwar in Westeuropa (D, NL, Lux., B, F). Seit 2013 bin ich jedes Jahr mindestens einmal 3 ½ Wochen/ 600 km oder länger am Stück mit Marenga und Isis unterwegs: 2013 von den Vogesen nach Reken/ D/4 Wochen/700 km, 2014, von hier mit einer Freundin zum Mittelmeer bis kurz vor Perpignan/10 Wochen/ 1.760 km, 2015 von dort aus zum Atlantik nördlich von Biarritz/ 9 Wochen/ 1.620 km, 2016 von der Nordsee /NL nach Hause/ 3 Wochen/ 600 km, 2017 von der Ostsee aus nach Bourg-en-Bresse zum Equirando/ 11 Wochen/ 1.660 km, 2018 mit einer Freundin und deren Pferden (da meine Hufrehe hatten) von Heinsberg nach Belgien und zurück/ 3 Wochen/ 600 km, 2019 von hier aus zum Equirando in Rambouillet (aber leider verletzte sich Isis nach gut 2 Wochen, sodass ich abbrechen musste), 2020 von hier aus nach Arendsee (Ostdeutschland)/ 4 Wochen/ 750 km, 2021 umgekehrt von Arendsee aus zurück nach Hause zusammen mit einem Bekannten, 2022 von hier aus zum Equirando nach Rue/ 3 ½ Wochen/ 640 km.

Da ich 2014 noch viel alten Urlaub hatte und im Jahr zuvor die 4 Wochen mit Isis gut geklappt hatten, wollte ich nun meinen alten Traum verwirklichen und immer Richtung Süden, zum Meer, reiten. Das hatte ich schon vor, seitdem ich mein erstes eigenes Pferd hatte. Eine Freundin, Dagmar, hatte sich mir zufällig angeschlossen. Sie wollte unbedingt in die Long-Rider-Gilde (die ich gar nicht kannte vorher – ich wollte nur zum Meer) und so sind wir noch weiter geritten, um die 1.000 Meilen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Long-Rider-Gilde voll zu machen.

 

 

 

 

 

 

 

Der Kopf ist frei - die Reise so langsam

 

 

Das unterwegs sein mit den Pferden hat mich schon immer fasziniert, zudem ich sehr naturverbunden bin. Das Wichtigste am Reiten ist für mich die enge gewachsene Beziehung zu den Pferden, die Beobachtung der Natur und die schönen Erlebnisse mit den Menschen, denen man unterwegs begegnet. Das Pferd öffnet die Tür zu den Herzen der Menschen.

Man sieht viele Kleinigkeiten am Wegesrand, die andere Menschen gar nicht wahrnehmen. Man lässt die Alltagsprobleme zu Hause; der Kopf ist frei. Die Reise ist so langsam (im Gegensatz zu Rad- oder Autotouren), dass die Seele noch mitkommen kann. Man geniesst im Zelt den Gesang der Nachtigall, oder den Vollmond und die schöne ruhige Abendstimmung. Es ist auch für die Pferde selbstverständlich, mit mir unterwegs zu sein. Ich gebe ihnen Sicherheit und Vertrauen in allen Situationen. Sie sind so feinfühlig und menschenbezogen, dass sie es auch sofort merken, wenn ich krank bin und es mir nicht so gut geht.

Ich mache diese Ritte nicht für andere, oder um irgendwelche Probleme von mir etc. zu lösen. Diese Erfahrungen wünsche ich ganz vielen anderen Menschen, auch in der Nachwelt. Wenn man sich selber öffnet, sind auch die anderen Menschen unterwegs frei und erzählen aus ihrem Leben. Oft kann man ihnen auch bei ihren Problemen helfen, da man diese aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Wieviele habe ich schon ermuntert, ihre Komfortzone zu verlassen, mutig zu sein, über den eigenen Schatten zu springen und auch einfach loszugehen. Sie werden reich belohnt werden!!! Es müssen nicht immer die grossen Reisen sein. Um klein anzufangen, bedarf es nicht viel, ausser Mut!

Sehr schade finde ich es, dass viele Turnierreiter in einer ganz anderen Welt leben. Es geht um Geld und Ruhm; aber gerade diese schöne Welt, die ich mit Hilfe der Pferde entdeckt habe, bleibt ihnen verborgen…

Die Franzosen haben mir 2017 beim Equirando in Bourg-en-Bresse den Preis für den weitesten Anritt und auch den Ehrenpreis verliehen. Sie wollten es honorieren, dass ich als Frau alleine mit zwei Pferden soviele Wochen in einem fremdsprachigen Land unterwegs bin. Ausserdem hat es Ihnen gefallen, wie ich auf die Menschen unterwegs zu gehe und dass ich immer sehr auf den guten Zustand meiner Pferde achte. Auch jetzt beim Equirando in Rue dieses Jahr sind ebenso wie beim CALC (= Cavalier au long cours/ Vereinigung der französischen Long-Rider/ Dort kann jeder Mitglied werden, auch derjenige, der es lernen will) -Treffen im Juni 2022 mehrere mir bisher unbekannte Leute auf mich zugegangen und haben mich auf die Preise in Bourg- en-Bresse angesprochen. Dass die mich überhaupt nach 5 Jahren noch wiedererkannt haben in der Menschenmenge ist sehr erstaunlich!

 

Allein mit Isis bin ich bisher über 19.000 km und mit Marenga über 16.000 km unterwegs gewesen- auf kürzeren Ritten und den langen Wanderritten.

Ich habe keine Aufzeichnungen, wieviele kleine Ritte ich gemacht habe von 1-2 Wochen. Lediglich stundengenaue Aufzeichnungen über die Ritte von zuhause aus und die langen Wanderritte unterwegs insgesamt existieren noch. Danach bin ich von 1986 – 2012 jedes Jahr insgesamt jeweils ca. 1.000 Meilen mit meinen Pferden unterwegs gewesen und von 2013 - 2021 jedes Jahr insgesamt jeweils ca. 1.300 Meilen durchschnittlich pro Jahr.

 

Europas Landschaft hat sich verändert - Sabine Keller zieht ein Resumée

 

 

 

 

 

Zurückgelegte Strecken:  1986 – einschl. 2012 = 27 x durchschnittlich 1.000 Meilen/Jahr = 27.000 Meilen

                                     2013 – einschl. 2021 =   9 x durchschnittlich 1.300 Meilen/Jahr = 11.700 Meilen (lt. meinen stundengenauen Aufzeichnungen, x 5 km/Stunde; die langen Ritte per GPS gemessen)

Dies umfasst die Ausritte zuhause wie auch die Wanderritte.

 

Futter- und Pferdeversorgung unterwegs im Wandel der Zeit

Seit mehr als 35 Jahren bin ich mit den eigenen Pferden in der Freizeit in der Natur unterwegs in Westeuropa (Belgien,Frankreich, Luxemburg, Niederlande sowie mein Heimatland Deutschland). In dieser Zeit habe ich rund 40.000 Meilen zurück gelegt. Als sehr naturverbundener Mensch und aufmerksamer Beobachter nehme ich viel wahr. Die Auseinandersetzung mit den sich ändernden Umweltbedingungen wird immer wichtiger für einen Longrider. Eine gute Vorbereitung inklusive Giftpflanzen-Kenntnisse zahlt sich aus und kann lebenswichtig sein.

Nicht nur die Heu- und Kraftfutterpreise steigen, sondern es ist auch immer schwieriger, gutes Heu als Futter zu finden, wenn kein Gras mehr da ist. Aufgrund der sich häufenden grossen Dürreperioden sind die Wiesen im Sommer alle abgefressen. Die Suche nach einer guten Übernachtungsmöglichkeit für die Pferde wird immer schwieriger. Die verbleibenden noch ein wenig Futter bietenden Wiesen sind oft alle von grossen Rinderherden einschließlich Bullen belegt und letztere reagieren häufig sehr aggressiv und dulden keine Pferde auf ihrer Wiese.  Selbst, wenn man sich nur selber ohne Pferd dem Tränkebottich auf einer Wiese nähert, ist es mit einem Bullen in der Nähe sehr gefährlich. Auch tagsüber muss viel mehr Zeit zum Grasen lassen eingeplant werden, da es nur noch selten schönes Gras am Wegesrand gibt. Alles verdorrt oder neben den Feldern tot gespritzt von den Landwirten.

Nicht alles, was irgendwie grün ist, ist gutes Pferdefutter! Pferde sind sehr wählerisch und fressen noch längst nicht jedes Gras. Wenn die Pferde unterwegs ausreichend Grünfutter haben, benötigen sie in der Regel (von extrem heissen Regionen abgesehen) auch keine Elektrolyte. Es hat sich auf meinen Ritten gut bewährt, auf dem Packpferd zusätzlich etwas Mineralfutter für jeden Tag mitzunehmen. Salz wird dagegen nur selten von meinen Pferden angenommen. Sie fressen aber viel Erde unterwegs von ganz unterschiedlichen Böden – wahrscheinlich, um Giftstoffe im Körper zu neutralisieren. Auch bei Aufnahme grösserer Mengen habe ich noch nie Probleme mit dadurch ausgelöster Kolik etc. bekommen.

Giftpflanzen nehmen zu - Wasser wird knapper

Ein grosses Problem sind die aufgrund der Überweidung stark zunehmenden Giftpflanzen. Die Erde weist viele kahle Stellen auf. Dadurch hat sich z.B. hier in Westeuropa das Jakobskreuzkraut (Jacobaea vulgaris) invasiv vermehrt. Es reichert sich in der Leber dauerhaft an und führt zu einem schleichenden Tod der Pferde. Gute Kenntnisse der giftigen Pflanzen werden immer wichtiger! In einer fremden Umgebung können Pferde viele bisher unbekannte giftige Pflanzen fressen, die sie bisher nicht kennen oder bei reichlichem Nahrungsangebot verschmähen würden.

Ich habe nicht die Erfahrung gemacht, dass die Pferde unterwegs sehr viel extra Salz benötigen. Wenn sie einmal einen Salzleckstein in einer Pferdeboxe o.ä. gefunden haben, haben sie gar nicht oder so gut wie gar nicht daran geleckt. Einmal hatte ich sogar ein Stück Salzleckstein von zu Hause mitgenommen, aber das hätte ich mir sparen können. Die Pferde wollten das Salz nicht! Sie bekommen aber täglich ihr Mineralfutter von mir, dass ich auch mitnehme. Dieses enthält auch etwas Salz. Dafür habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Pferde sehr gerne und oft Erde vom Boden aufnehmen unterwegs. Sie ist ganz unterschiedlich- mal aus dem Wald, mal auf der Wiese. Es kann also nicht vom Kalkgehalt abhängig sein. Ich nehme an, dass die Erde Giftstoffe im Körper neutralisiert, die mit der Nahrung aufgenommen werden. Schließlich fressen Wildtiere ja auch Erde…

Ausgetrocknete Teiche, Stürme und Überschwemmungen erschweren das Vorankommen in der heutigen Zeit

Auch die Wasserknappheit macht sich immer mehr bemerkbar. Bei meinem Ritt durch Belgien und Nordfrankreich im vergangenen Monat waren selbst 1 ½ bis 2 m tiefe kleine Teiche im Wald völlig ausgetrocknet. Dabei ist diese Region ansonsten normalerweise aufgrund des gemäßigten Klimas und der vielen Niederschläge immer sehr grün… Wenn wie jetzt die Tränkmöglichkeiten unterwegs aus kleinen Pfützen, Bächen etc. fehlen, ist man ausnahmsweise froh, im dichtbesiedelten Westeuropa zu wohnen. Dort kann man man noch in den Ortschaften um Wasser bitten. Nicht nur für die Pferde, auch der Reiter benötigt mindestens einen Wasservorrat von 2,5 Litern unterwegs. Jede Tränkmöglichkeit nutzen!

Es gibt allerdings auch das andere Extrem mit unvorstellbaren Überschwemmungen, wie sie vor genau einem Jahr in meiner Region aufgetreten sind und neben den Tieren auch vielen Menschen das Leben gekostet haben. Selbst grosse Häuser wurden von den Wassermassen mitgerissen! Fast sämtliche Brücken waren zerstört; viele Orte waren langfristig ohne Strom und Wasser. Dabei hatten wir erst fünf Jahre vorher hier ein „Jahrhundert-Hochwasser“. Letztes Jahr war es nochmal doppelt so hoch wie 2016, nun „Jahrtausend-Hochwasser“ genannt.

Auch die Stürme nehmen kontinuierlich sowohl in der Stärke wie auch in der Häufigkeit zu und bringen neue Gefahren. Der Wind kann so stark sein, dass Aufbau von Zelt und mobilem Elektrozaun für die Pferde nachts nicht mehr so ohne weiteres möglich sind.

Dieses Jahr habe ich einige abgebrannte Felder und Traktoren aufgrund der hohen Temperaturen unterwegs gesehen. Diese müssen noch am Vortag gebrannt haben! Selbst tagsüber hat man besonders beim Durchreiten von Nadelwald ein mulmiges Gefühl. Alles so trocken, dass selbst ein Funken von den Hufeisen den Wald entzünden könnte. Dazu noch die vielen abgestorbenen Fichten im Wald und der Boden dicht mit trockenen Fichtennadeln bedeckt. Gut, wenn man sich da vorher informiert und einen Fluchtweg gefunden hat.

Zahl der Stechinsekten steigt

Auch die schädlichen Insekten werden immer zahlreicher. Dieses Jahr hatte ich doppelt soviel Fliegen wie normal an den Pferden und das nicht nur an manchen Tagen. Selbst morgens um 10 Uhr waren die Augen bereits dicht an dicht umgeben von Fliegen (so wie an einem bestickt umrandeten Knopfloch), was direkt zu Augenentzündungen führte. Man findet inzwischen Insekten in kühleren Gegenden, die es ansonsten dort nicht gab, wie z.B. die Tigermücken, Auwaldzecken und andere, die bisher hier unbekannte Krankheiten übertragen (z.B. West-Nil-Virus). Die grossen Pferdebremsen (Tabanus sudeticus) peinigen jetzt nicht nur im Süden Frankreichs Mensch und Tier, sondern auch schon im Norden. Da vergeht den Pferden der Appetit – sie wollen einfach nur noch weiterlaufen, so schnell wie möglich und ohne Pausen bis zu einer Stelle mit weniger Plagegeistern… Auch als Mensch wird man ständig gestochen und sollte bei evt. Allergien vorsorgen.

"Es wird nicht besser!"

 

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